Das Muli. Ein ON/OFF Lastenrad.

Skippy, Schnappi, Muli. Kann der Wollpertinger unter den Cargobikes ein Auto ersetzen?

Bereit für Steigungen, Senken, Flachland und den Baumarkt. Ein Muli für alles.

Ich weiß nicht, wieso, aber ich musste auch an ein Känguru denken. Und an ein Krokodil. Nicht sofort. Aber immer mal wieder. Denn: trägt es nicht einen Beutel mit sich? Wie ein Känguru? Und ein aufschnappendes, alles verschlingendes Maul, wie ein Krokodil? Und überhaupt: ist es nicht vielleicht auch ein Kamel? Weil es so ausdauernd betrieben werden kann? Oder ein Hase? Weil es flinker ist, als die anderen? Oder eine Ameise: weil es das mehrfache seines eigenen Gewichts tragen darf? Fest steht: es passen viele Tiermetaphern zu diesem Fahrrad, das ein Auto vielleicht ersetzen, zumindest aber ergänzen soll. Womöglich passt der Name Muli aber tatsächlich am besten. Muli, wie in Maultier, dieser Kreuzung aus Hauspferdestute und Hauseselsstute. Heraus kommt dabei, zumindest in der Tierwelt, ein Wesen, das nicht nur ausdauernd und genügsam ist, sondern sich zu gleichen Teilen gut als Zug- wie auch als Reittier eignet.

Details.

Warum, frage ich mich bei dieser Beschreibung, haben wir dann nicht alle statt eines Autos zumindest ein Maultier zu Hause vor der Tür stehen? Die Antwort ist wenig verwunderlich: weil es immer noch ein Tier ist, also wenigstens einen Stall, etwas Pflege und hin und wieder Stroh zum Fressen braucht. Weil es Maultieräpfel produziert, die man wegräumen muss, und es spätestens dann womöglich auch etwas nach Tier riecht, was viele Stadtmenschen nicht mehr vertragen, seit Katzen und Co. nur noch auf Ihren Smartphonebildschirmen stattfinden.

Wie gut, dass zwei findige Brüder den Geistesblitz hatten, ein Maultier-Äquivalent aus Stahl, Kunststoff und Gummi zu entwickeln: das Muli Cargobike. Laut Eigenaussage „Designed for daily urban life.“ Ein kompakt dimensioniertes Fahrrad für die Stadt also, mit einem Faltkorb zwischen Vorderrad und Lenker. Oder doch etwa viel mehr als das?

Meine erste Begegnung mit dem multifunktionalen Stahlross findet im Hausflur statt. Ein Paketdienst hatte das Fahrrad geliefert. Seitdem schlummert das rabenschwarz / blütenweiß gescheckte Exemplar unter einer großen Kunststoffplane. Hatte ich es mir größer vorgestellt? Alleine die Tatsache, dass es in den knapp bemessenen Hausflur passte, ohne Stürme der entrüsteten Nachbarschaft auszulösen, überraschte mich.

Passt in den Hausflur. Und als Christo Kunstwerk in jede Kunstgalerie.

Denn wer an Cargobikes denkt, denkt spontan auch an an sperrige, eher unflexible und ausladende Räder. Nicht so beim Muli: es ist mit 1,95 Meter nur etwa 15 cm länger als ein herkömmliches Fahrrad und dank des Faltkorbs, der im geschlossenen Zustand (28 cm breit) nicht über den Lenker herausragt, auch keinen Zentimeter ausladender als ein gewöhnlicher Drahtesel.

Nachdem ich den Lenker fixiert und die Plane zusammengefaltet hatte, interessierte mich aber erstmal nur eines: was passt rein, in den Korb, der ausgeklappt mit 60 cm ebenfalls kaum breiter als der Lenker ist?

Um das herauszufinden genügt ein Zug an der unterhalb des Lenkers angebrachten, U-förmigen Ent-/Sperrvorrichtung, um die beiden Flügel des Faltkorb zur Seite zu klappen.

Hält den Korb geschlossen. Oder ermöglichte seine Entfaltung: der solide, federnd gelagerte, metallene Schließ-klapp-ent-&verriegelungsbügel.

Eben noch Fahrrad, plötzlich: Cargobike. Die Verwandlung ist einfach und dabei so effektvoll wie effektiv. Schon im geschlossenen Korb ist Platz für Waren des täglichen Bedarfs (eine Supermarkttüte zum Beispiel), wenn das Krokodil, pardon: das Muli seinen Maulkorb weit geöffnet hat, müsste es noch deutlich mehr sein. Theoretisch bietet die Ladefläche Platz für eine 60×40 cm Standard-Eurobox. Ich war zwar gut vorbereitet, aber meine Ladung war weit weniger genormt: ich hatte eine leere Bierkiste dabei, ein großes Paket für die Post und eine Unmenge an Papiermüll für den Recyclingcontainer. Derart gewappnet wollte ich herausfinden, ob das Muli ganz alltägliche Lasten meistert, vor denen ein gewöhnliches Fahrrad kapitulieren würde. Um das Ergebnis gleich vorwegzunehmen: Nix musste zurück gelassen werden, alles fand seinen Platz, wenn auch gestapelt und leicht über den Lenker ragend, ohne dabei aber die Manovrierfähigkeit zu behindern.

Also machte ich mich – ohne auch nur einen Probemeter Strecke gemacht zu haben – auf die Jungfernfahrt mit dem Muli. Akkubetriebene LED Lampen aufgesteckt, Lenker und Sattel auf der richtigen Höhe fixiert, Doppelständer eingeklappt und noch kurz am Hebel der Scheibenbremsen gezogen, um die Verzögerung zu testen, schon konnte es losgehen.

Kostet Aufpreis (300 EUR), schont Nerven: der Riemenantrieb mit Alfine-Nabenschaltung.

Auf den ersten Meter wackelte ich noch etwas ungelenk über den Bürgersteig, dank der hochgestapelten Fracht und der genauso ungewohnt ausladenden Breite des Korbs vor meinen Füßen. Die Umstellung von der einfachen Fahrrad- auf die etwas komplexere Gestängelenkung, bei der man das Vorderrad für gewöhnlich nur erahnt oder aber gar nicht sieht, erfordert für jeden unerfahrenen Lastenradneuling etwas Übung. Das Muli bildet hier, wenn es auch kürzer ist, keine Ausnahme.

Erfordert etwas Routine, hält das Rad dann aber bei der Stange: Mulis Gestängelenkung.

Doch mit jeder Kurbelumdrehung, mit jeder Richtungsänderung und mit jedem hinter mir gelassenen Pflasterstein wuchs die Zuversicht, dass die Lernkurve für ein sicheres Bewegen des Muli schnell steil ansteigen würde. Vom Bordstein ging es nach wenigen Metern hinab auf der Strasse. Dabei überraschte die Stille des Vortriebs. Dank Riemenantrieb trat ich fast lautlos hinein in den leicht verregneten Abend, und mit mir gewann auch das Sammelsurium an Dingen vor mir im Korb an Wegstrecke. Also ob ich es jeden Tag tun würde, gab ich das Paket bei der Post ab, entsorgte den Papiermüll im Container und holte mir das Pfand für den Kasten Bier ab.

Einmal sauber geblieben mit Mulis lokal emissionsfreier Fahrt zum Wertstoffcontainer.

Das alles funktionierte ohne Auto oder Bahn, ohne Parkplatzsuche oder Warterei an den Gleisen. Das einzig Ungewohnte an meinem ersten Ausritt war die erhöhte Aufmerksamkeit, die das Muli (aber auch jedes andere Lastenrad) erforderte, denn in der Dunkelheit war der geöffnete Korb vor mir fast unsichtbar. Wer vergisst, dass er ein Stück nach vorne und an die Seiten ragt, riskiert Feindberührungen mit am Fahrbanrand stehenden Fahrzeugen. Eine andere Lackierung als schwarz würde hier vielleicht Abhilfe schaffen. Aber sonst?

„Fahrradfahren kann doch jedes Kind“ ist ein beliebtes Lied in der Kleinkindgruppe meines Sohnes und dasselbe gilt für das Muli. Es fährt sich leicht und Kinder – zumindest meins – geniessen die Fahrt. Dank des Kindersitz (280 EUR Aufpreis) ist es kinderleicht, seinen Nachwuchs durch die Stadt zu kutschieren. Die kleinen Mitfahrer schauen dabei wahlweise in oder entgegen der Fahrtrichtung. Und sollte es regnen, bietet der Hersteller ein Verdeck an (320 EUR)

Praktisch, beidseitig zu installieren und dank gefederterer Konstruktion offenbar bequem: der Kindersitz für bis zu zwei kleine Passagiere.

Reden wir über das Fahrgefühl, bedeutet Muli fahren hart in die Pedale treten, schwitzen und keuchen? Egal ob materielle Ladung oder junge Passagiere mit an Bord sind: wer halbwegs geübte Waden hat, benötigt zumindest im Flachland (Testgebiet Düsseldorf) keinen unterstützenden Elektromotor. Ein solcher ist zwar in Form des Pendix-Nachrüstsatzes auch für das Muli zu haben (e-Muli: 4.185 EUR). Doch der Reiz des kompakten Lastenrads liegt ja gerade in seiner unkomplizierten, genialen Einfachheit und Leichtigkeit – im Vergleich zu einem herkömmlichen, schwereren Cargobike, dessen laufenden Betrieb ohne E-Motor das Fitnessstudio ersetzen könnte. Fahrer des Muli jedenfalls kommen auch sehr gut ohne den Extra-Schub aus Akku und Motor ans Ziel.

Mitbürger mit hügeligem Umland dürften mir hier widersprechen. Doch gemach: entweder sie nutzen den Nachrüstsatz zur Elektrifizierung, oder üben sich noch etwas in Geduld. Wenn die Erfolgsstory des Muli anhalten sollte, wird das Rad womöglich in naher Zukunft auch eine Lösung mit ingegriertem E-Antrieb erhalten. Das wäre auch in ästhetischer Hinsicht zu begrüßen.

Ob in der Kölner Bucht oder in den Alpen: Einige wenige Einschränkungen gilt es bei der Fahrt mit dem Muli aber noch zu beachten: ganz grundsätzlich fährt es sich beladen besser als unbeladen. So kann es vorkommen, dass einen kleinen Wheelie verursacht, wer mit viel Schwung und unbeladen die Borsteinkante erklimmt. Das ist für erfahrene Radler soweit so ungefährlich. Stärker aufpassen muss, wer vollbeladen bei Regen unterwegs ist, insbesondere bei feuchten Verhältnissen. Da kann zwar auch einem handelsüblichen Fahrrad die Bodenhaftung flöten gehen, beim Muli passiert des gefühlt aber noch etwas schneller. So erlebt auf meiner Teststrecke, die eine Abkürzung durch den Park enthielt: der Regen hatte den Untergrund aufgeweicht und auf einem nicht asphaltierten Stück reichte etwas zu hohe Geschwindigkeit und eine leichte Lenkbewegung aus, um das Vorderrad auf schmierigem Untergrund zu verlieren und mit dem gesamten Rad auf der Seite zu landen. Glücklicherweise hatte ich „nur“ meinen iMac im Korb (der den Sturz auch überstanden hatte), aber eine Schramme am Gittergeflecht des Muli und eine Prellung der schmerzhaften Sorte am Schienenbein erinnerten mich daran, dass das Muli nur bis zu einer gewissen Grenze spurtreu ist. Es neigt zum untersteuern. Was letztlich aber immer noch besser ist, als abgeworfen zu werden.

Gute Räder haben ihren Wert.

Reden wir am Ende über die Kosten, die Muli-Haltern entstehen: mit einem Basispreis von 2.725 EUR ist das radelnde Maultier weit entfernt davon, ein Schnäppchen zu sein, und wer seine Fahrräder für gewöhnlich beim Discounter einkauft, wird bei dem Tarif ungläubig mit den Ohren schlackern. Wer sinnvolle Extras wie Kindersitz. Verdeck und Riementrieb addiert, sieht zu, wie der Preis sich bis knapp an die 4.000 EUR Schallmauer katapultiert. Vier Riesen für „so wenig“ Fahrrad. Das wird dem ein oder anderen Interessenten nur schwer zu erklären sein. Für das Geld könnte man mit seiner Familie sehr oft in den Zoo gehen.

Ersetzt es ein Auto?

Für das Geld erhält man aber nicht nur eine bestechend geniale Idee, gediegenes Design und einen in Deutschland produzierten Rahmen. Der Preis relativiert sich vor allem dann, wenn man ihn in Relation zum Auto setzt. Wer a) weiß, was ein Fahrrad wert sein sollte, b) öfter mal das Kfz stehen lassen will, oder c) gleich auf‘s Zweitauto verzichten kann, dem eröffnet das Muli ein kleines, nein ein großes Universum an Möglichkeiten des Individualverkehrs in der Stadt, ohne dass dabei unbedingt eine Garage zur Unterbringung angemietet werden muss. Denn mit dem kleinen Falter aus Driedorf bekommt man einen versatilen Vierbeiner auf zwei Rädern, der kein Stroh frisst und seinen Besitzern über viele Kilometer hinweg Freude bereiten kann.

Etwas Fahrpraxis vorausgesetzt.


 


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