Wieviel Potenzial hat „Autofahren wie gestern – nur besser“?
Ein Aspekt, der mich an vielen Fahrzeugen immer wieder herausfordert ist: das Überkandidelte. Das Verspielte. Das unnötig Aufgeblasene. Das Über’s-Ziel-Hinaus-Geschossene.
Ich find’s schade, wenn Autohersteller den einen Schwung zuviel ins Blech hauen, die eine verschachtelte Funktion too much ins Infotainment zwängen, Beinauflagen umständlich elektrisch und Multifunktionslenkräder über Touchfelder bedient werden müssen statt über einfache, unzerstörbare Tasten.
Gerade bei Autos sind wirklich wenige Hersteller auf dem „gut ist gut genug“-Trip. Es muss immer noch eine Schippe draufgelegt werden, im Marketing-Sprech, bei der Ausstattung und in Sachen Motorisierung. Einige der neuen Errungenschaften machen ja Spass und ergeben möglicherweise auch Sinn, keine Frage, aber wer wie ich immer wieder neue Autos entdecken kann, merkt schnell was ein Bauteil der Sorte Kunde-Braucht-Das-Nicht-Aber-Wird-Dafür-Zahlen, ist und was aus der Abteilung Kunde-Braucht-Das-Unbedingt-Müssen-Wir-Nicht-Neu-Erfinden-Können-Wir-Günstig-Einbauen stammt. Das erstgenannte treibt Preis und Profit hoch und irgendwie ist das bei uns in Deutschland so eine unaufhaltsame Spirale geworden, in deren Verlauf man sich fragt, wer die Autos eigentlich noch bezahlen soll und ob all die Sperenzien, die sich innen wie außen finden, wirklich nötig sind.
Jeder Jeck ist da natürlich anders, aber für mich darf’s hier gerne etwas weniger sein, solange man keinen Verzicht üben muss, der weh tut. Es geht hier um die Dosis der Bescheidenheit, um die Hingabe im Entwicklungsprozess und um Fragen wie: kommt der Wagen auch ohne Alufelgen gut? (Spoiler: die wenigsten tun es, sind dann aber in der Regel echte Granaten.)
Es hat vielleicht auch damit zu tun, dass ich in den letzten Jahren immer mehr zum Autokritiker geworden bin. Anders als andere Mitspieler in meiner Branche liegt es mir jedenfalls fern Autos abzufeiern. Oder sie andererseits in die Tonne zu hauen (Ausnahmen bestätigen die Regel). Ich bin der Überzeugung, dass wir mehr als genug Autos auf der Welt haben und öffentlichkeitswirksame, euphorische Loblieder auf frisch aus der Fabrik geschobene Fahrzeuge aus der Zeit gefallen sind. Alleine schon aus Gründen der Schonung wertvoller Ressourcen bin ich ein Freund von Reduce to the max (war das wirklich mal ein Claim von Smart?).
So bin ich beispielsweise ein großer Freund meines radkappenbespannten Ur-Twingo und ich schätze Renault für die Art und Weise wie sie damals aus wenig Material echtes Autogold gepresst hat. Keine Linie zuviel trifft auf extrem kompaktem Raum auf ein revolutionäres Innenraumkonzept und ein herrlich reduziertes aber komplett durchdachtes Interieur. All das zu einem mehr als fairen Preis. Bis heute ist dieses Auto unerreicht, der Twingo wird auch voraussichtlich nie wieder so genial und ich werd alles dran setzen, das Auto in den kommenden 10 Jahre bis zum H-Kennzeichen und darüber hinaus zu hegen und zu pflegen.
Das Interessante: egal wie er ausgestattet war, der Twingo wirkte immer stimmig. Heute ist das zumindest gefühlt anders: Autodesign kommt innen wie aussen nur noch dann gut, wenn eine Vielzahl an Extras angeklickt wurde, das Sportpaket Sportlichkeit ausdrückt und 20-Zöller im Radhaus stehen. Wer hier spart, merkt sofort, das da was fehlt.
Deswegen gefallen mir Autos, die aus relativ wenig verhältnismäßig viel rausholen, die praktisch und preisgünstig sind, die den britischen „utilitarian charme“ mit ansprechendem Design verbinden. Siehe Twingo. In einem der vergangenen Fahrberichte ist mir in dieser Disziplin, nicht ganz unerwartet, Dacia aufgefallen, eine Marke, die bei mir aber bisher eher nicht hängen geblieben ist. Klar, da waren die lustigen Mehmet-Schell-Statussymbol-Spots im Fernsehen, haha, aber die Fahrzeuge selbst fand ich nicht so unterhaltsam. Keines hatte der Privatmann in mir unter „würd-ich-kaufen“ abgespeichert, dazu wirkten sie lange Zeit zu rudimentär.
Womit ich nicht gerechnet habe: das sich das ändern und Dacia ein Grower sein würde. Denn mit dem Vielzweckfahrzeug namens Jogger machte meine Wahrnehmung der Marke eine 180 Grad Wende. Plötzlich stand da ein optisch ansprechendes, viel Raum bietendes, nach wie vor günstiges Auto auf dem IAA Stand in Münchens City, das bei uns im Test auf Anhieb viel Lob einsammeln konnte und mit dem neuen Markenauftritt einige Monate später nochmal attraktiver wirkte. „Autofahren wie früher, nur besser“ war damals mein Fazit, und mit dem DC Logo an der Front sah es jetzt aus wie ein Auto, das Zurück in die Zukunft möchte. (die Nähe zum DeLorean Logo des Fahrzeugs aus dem gleichnamigen Film ist nicht ganz von der Hand zu weisen).
Als ich dann jüngst für ein Thule-Dachbox-Shooting einen fachgelifteten Dacia Duster nutzen konnte wurde deutlich, das der neue Markenauftritt auch den älteren Modelle gut getan hatte. Der Duster wirkte selbst ein Jahr vor seinem Modellwechsel nicht altbacken oder aus der Zeit gefallen und die Tatsache, das Dacia sich von nun an intensiv in Richtung Outdoor-Lifestyle orientiert hält so ein Dachzelt-Freund wie ich für keine schlechte Idee.
Aber halt, es ist nicht alles eitel Sonnenschein, denn sollte Dacia es mit dem Höhenflug übertreiben, könnten Sie sich ihrerseits im Klein-Klein das viel Mist-Mist macht verlieren.
Als Beispiel nenne ich hier nur die neuesten Modelle aus der„Extreme“-Serie, die mit Vollausstattung. Denn die sind seit diesem Modelljahr nur noch mit nicht abwähl- und kaum entfernbaren kupferfarbenen Elementen innen wie außen zu haben. Das erinnert an die Extravaganzen die sich Marken mit Überkandidel-Potenzial wie Cupra erlauben. Werden jetzt Lifestyle Berater die Marke übernehmen oder handelt es sich hier nur um eine saisonale Geschmacksverirrung? Fahrzeuge wie der neue Duster und das kommende Siebensitzer-SUV schon in den Startlöchern stehen. An denen wird man dann ablesen können, in welche Richtung sich Dacia wirklich weiterentwickeln wird. Bald mehr dazu bei Vox auto mobil.