Sportlich auf der Stelle treten.

Zu Hause Rad fahren mit dem Wahoo Kickr. Ein Erfahrungsbericht. 

Ich bin durch das New York der Zukunft gefahren, bei Nacht und Regen die Themse entlang, einen Vulkan, die Champs-Elysées und einen legendären Pass auf Mallorca hoch und runter. All das, im Schweisse meines Angesichts, auf einem Rennrad, mitten in meiner Wohnung in Düsseldorf City. Wie? Mit einem Smart-Trainer von Wahoo. Dem Kickr.

Aber wieso denn überhaupt?

Meine Erfahrungen mit Heimtrainern sind überschaubar aber gut dokumentiert. So hab ich zum Beispiel mal ein Rudergerät für zu Hause ausprobiert. Um fit zu bleiben. Was sonst. Den ganzen Artikel gibt’s hier.

Los ging’s euphorisch, motiviert und ambitioniert, wie bei so vielen Dingen, die man gerade erst neu hat. Aber schon nach der Honeymoonphase mit dem Gerät benötigte ich vor allem eines: pure Überwindung. Das Rudern an sich gilt ja als fantastisches Workout für den gesamten Körper, aber die Angelegenheit selbst wurde schnell öde. Mein Hirn verlangte nach Abwechslung. Ich ruderte ja nicht an der Loreley vorbei oder die Loire entlang, sondern in meinem kleinen Arbeitszimmer, neben Aktenordnern und runterhängenden Stromkabeln. Versuche, mit Podcasts und Musik in den Ohren bei der Stange zu bleiben fruchteten nicht so recht. Mein Kopf konnte nie Reisaus nehmen, aus diesem sehr alltäglichen Umfeld. Eine virtuelle Welt, die – so paradox das klingen mag – das ganze realer wirken lassen würde, gab es damals nicht, jedenfalls nicht für dieses durch die US-Serie House of Cards bekannt gewordenen Gerät.

Dabei hatte ich gesehen, wie es besser geht, das mit der Abwechslung bei einer Sportart, die man zu Hause absolviert, wo einen niemand anfeuert. Ich hatte ein paar Monate zuvor in einem Koblenzer Fahrradladen auf einem Rennrad Platz genommen, das mir zwar viel zu klein war, aber ein interessantes Setup besaß: es besaß kein Hinterrad aus und war an dessen Stelle an einen Apparat gekoppelt, der wie ein mit Technik versehener Doppelständer wirkte. Vor dem Lenker lief auf einem Monitor ein Programm namens Zwift, in dem ein Männchen auf einem Rennrad, ein Fuss auf dem Boden abgestellt, darauf wartete, dass etwas passierte. Dazu etwas Hintergrundmusik. Es war angerichtet.

Da sich niemand um das Setup prügelte, zwängte ich mich neugierig aufs Rad, pedalierte ein paar mal und sah, wie sich zeitgleich das Männchen auf dem Rennrad vor mir in Bewegung setzte und die Welt drumherum sich veränderte.

Ein Aha-Erlebnis. Mensch und Maschine, Hard- und Software bildeten in Sekundenschnelle eine Einheit, die Monotonie der ewig gleichen Bewegungen wurde aufgehoben durch den Avatar in der Ersatzwelt, der mir echtes Radfahren zumindest suggerierte. Während das digitale Persönchen vor mir auf dem Bildschirm ordentlich Meter machte, bewegte sich das Rad in der realen Welt kein Stück vom Fleck. Es wackelte nur minimal von links nach rechts. Hier ein Foto davon:

Ein seltener Anblick: ich sitze auf einem (viel zu kleinen) Rennrad. Und hintendran, schon damals: ein Kickr!

Das wirkte deutlich intelligenter und moderner als der eher rudimentäre Ansatz des Rudergeräts. Das musste ich ausprobieren. Das passende Rad hatte ich ja schon zu Hause. Vorab ein kleiner Exkurs:

Warum ich niemals Rennrad fahren wollte:

Wären meine Prinzipien in Stein gemeißelt gewesen, hätte ich nie auf einem Rennrad Platz genommen und dieser Artikel würde gar nicht existieren. Denn ich hasste die Rennradwelt.

Aufgewachsen in den 80er und 90ern lag mir über dreißig Jahre lang nichts ferner, als mich auf ein Rad mit gebückter Sitzposition und gebogenem Lenker zu setzen. Schuld waren weder die Sitzposition oder der Lenker an sich, denn ich interessiere mich prinzipiell für alle Fahrräder. Schuld waren die Begleiterscheinungen des Rennradsports und all die Aspekte, die diese Disziplin lange Zeit ausgemacht haben. Angefangen bei den mickrig dünnen Reifen und den zu rasierenden Beinen über die hautengen Klamotten, die man tragen sollte (nach Möglichkeit in grellen Farben und Mustern) bis hin zum alles überschattenden Thema Doping. Ich konnte nirgendwo andocken. Dazu kamen technische Allüren wie die jahrelange Weigerung, von Felgen- auf Scheibenbremsen zu wechseln. Dieses gesamte Mindest der Rennradwelt schien sich in einer Parallelwelt abzuspielen. Außerdem fuhr unser spießiger Nachbar Rennrad. Der hatte auch ein Wohnmobil. Es war ausgeschlossen, dass ich das alles jemals ausprobieren würde.

Natürlich bin ich Fahrrad gefahren, zur Schule, zum Basketballtraining oder zu Verabredungen. Dazu hatte ich Alltagsräder. Prägend aber waren vor allem die zeitgeistigen Bikes des jeweiligen Jahrzehnts. In den 80ern war’s das BMX-Rad, damals das Bike für Heranwachsende. In meiner Nachbarschaft schien bei den Jungs kaum etwas beliebter (ausser vielleicht ein Poster von Samantha Fox oder ein Walkman mit Auto-Reverse). Es war die Zeit, in der man sich mit weißen Stoff-Handschuhen vor’m Supermarkt am Breakdancen versuchte, und Michael Jackson noch Michael Jackson war. 

Zehn Jahre später fesselten mich Mitte der 90er Mountainbikes monatelang an Prospekte und Zeitschriften. Bis ich nach reifer Überlegung exakt 1.749 feinsäuberlich angesparte D-Mark auf den Tresen eines Düsseldorfer Radladens legte, um ein solches Rad zu erwerben. Plötzlich war ich Mountainbiker. Ohne Skills, ohne Ahnung und ohne Federgabel, dafür mit einem sauschweren Stahlrahmen und Deore XT Schaltwerk. XT! Was auch immer das bedeutete. 

Es kamen die 2000er. Rennräder? Nope, immer noch unsexy. Und das obwohl ich mich – aus Mangel an TV-Alternativen im Sommer – stundenlang von der Tour de France Berichterstattung berieseln ließ und das Poster von Samantha Fox mittlerweile von dem eines sehr eleganten Colnago-Rennrads mit Campagnolo-Schaltung ersetzt worden war. Fahrrad dieses Jahrzehnts wurde ein Cannondale Bad Boy. Dünne Reifen, ja, aber gerader Lenker. 1.200 € teuer. Ein Urban Bike im Fixie Style, mit 8-Gang Nabenschaltung. Hip und komplett mattschwarz. Ein Rad, so cool wie mein erster, allerdings sehr weißer, iMac und trotz der trägen Schaltung so flott, dass ich sogar Klickpedale dran montierte und passende Schuhe dazu kaufte.

Bevor das nächste bedeutende Rad meines Lebens dann ein Lastenrad wurde, kurz vor’m vierzigsten, kam dann aber etwas unerwartetes. Es stand plötzlich in meinem Wohnzimmer: mein erstes Rad mit Rennlenker.

New bike day. „Welcome to a community“ steht auf dem Karton. So schnell kann’s gehen.

Warum ich dennoch Rennrad fahren werde:

Das Fahrrad-Universum hatte ein nicht abzulehnendes Angebot vorgelegt, mir das Thema Rennrad kurz vor knapp doch noch schmackhaft zu machen, und zwar in Form eines neu erfundenen Mischwesens aus Mountainbike und Rennrad: dem Gravelbike. Vereinfacht gesagt ein Rennrad mit etwas gröberer Bereifung. Meine Skepsis gegenüber Rennrädern blieb, aber das Graveluniversum übersetzte die ganzen Rennrad-Ungereimtheiten in ein ästhetisch annehmbares Gesamtpaket, will sagen: die Begleiterscheinungen waren nicht abtörnend sondern animierend. Gravel-Klamotten kamen selten grün-gelb gestreift oder grau-lila gepunktet daher, dafür locker geschnitten und nicht ganz so spack. Die Gravel-Community wirkte lässiger, weniger kompetitiv, und wenn, dann nur wenn es darum ging, als erster die Espressobar anzusteuern. Oder die Craftbier-Theke. Natürlich lag der Verdacht des Hipstertums in der Luft, aber eben auch die Kombination aus Sport, Kaffee und … Bier?! 

Mir gefiel das. Meine Zeit für das Rennrad, wenn man es so nennen konnte, war gekommen. Ich musste mir nicht die Beine rasiere, mich nicht zwingend in hautenge Klamotten zwängen oder Brillen von Rudy Project aufsetzen. Namen wie Team Telekom, Jacob’s Krönung und EPO wurde abgelöst von Rapha, Rocket Espresso und IPA.

Zusammen mit einem Freund hatte ich mir nahezu zeitgleich ein Canyon Grail bestellt. Und es begann ein Abenteuer mit vielen spannenden Touren hier vor Ort. Höhepunkt des Ganzen war ganz sicher ein Mallorca-Urlaub, bei dem ich auf einem geliehenen Carbon-Rennrad Hügel und Passhöhen vor Ort hoch und runter geradelt bin. Ja, auf einem Rennrad. Und es tat gar nicht weh. Also weder am Hintern noch im Kopf.

Ruhm und Ehre am Coll d’Honor auf Malle. 550 m. Immerhin.

Mein Ziel für die zweite Lebenshälfte war damit schnell gesetzt: bis ins hohe Alter sportlich Rad zu fahren, auch wenn das ein Dasein als MAMIL (Middle Aged Men in Lycra) beinhalten würde. Denn so ganz kam man von den Wurstpellen-Klamotten doch nicht los.

Rennrad fahren war eine willkommene Abwechslung zum Joggen, wenn es um ein paar Cardio-Einheiten und den Abbau von Fettpolstern ging. Das fand die ersten Monate über natürlich immer nur draussen, hier im Raum Düsseldorf statt. Auch an Gravel-Ausfahrten der lokalen Ladengröße Schicke Mütze nahm ich interessiert teil und an Rennradtouren wie der Tour Laureus.

Radeln für den Guten Zweck: die Tour Laureus rund ums Schloss Neuschwanstein

Die Nachteile des Rennradfahrens in der realen Welt

Aber auch wenn Düsseldorf mal als Tour de France Startort in die Geschichte eingegangen ist, gelten weder die Hauptstadt NRWs noch sein Umland als Eldorado für Rennradfahrer oder Gravelbiker. Wenn ich also nicht einfach nur vor der Tür den Rhein entlang gefahren bin, sondern auch mal raus aufs Land und in den Wald wollte (da wo Graveln Sinn ergibt), sahen die Routinen in der Regel so aus: Terminkalender freischaufeln, die diversen Klamotten anziehen, Rad aus dem Keller holen, irgendwas vergessen (Brustgurt, Brille, Handschuhe you name it), wieder hoch in die Wohnung stapfen, zurück auf’s Rad, draufschwingen, losrollen. Nur um dann Autos, Verkehr und Ampelschaltungen zu erdulden, Abgase, Baustellen und Strassenbahnschienen, das volle Programm. Erst nach gut 20 Minuten hatte man die Stadt im Rücken, erst dann begann der wirklich sportlich genüssliche Teil der Tour, die freilich mit eben diesem Verkehrsstress wieder enden würde, sobald es nach Hause ging. Ein Trauerspiel.

Die Entscheidung, sich das immer wieder anzutun und weitere Kilometer auf dem Bike zu sammeln, nahm mir im Herbst 2020 der Familienzuwachs ab. Ich war jetzt Vater von zwei Söhnen und zu Hause gefragter als zuvor. Stundenlange Radfahrten hatten Pause. Um aber nicht unter Entzugserscheinungen zu leiden und während der Elternzeit erneut einen Dadbod zu züchten, war klar: jetzt beginne ich wieder mit dem Training zu Hause. Aber nicht auf dem vermaledeiten Rudergerät. Sondern auf dem Rad. Wozu gab es schließlich diesen smarten Rollentrainer, den ich, eingangs erwähnt, damals im Radladen entdeckt hatte.

Wahoo, wo bist Du?

Ich hatte die Rechnung aber nicht mit einer Pandemie gemacht, die zigtausende Freizeitsportler zum Sporteln in die eigenen vier Wände verbannte. So waren Mitte 2020 smarte Rollentrainer komplett ausverkauft, sie wurden gehandelt wie FFP-2 Masken. Online oder im Laden fündig zu werden schien aussichtslos.

Erschwerend kam hinzu, das ich mir den Luxus gönnen wollte, nur auf die Spitzenmodelle der in meinen Augen führenden Anbieter, Wahoo und Tacx/Garmin zu setzen. Andere Modelle scheiterten alleine schon aus optischen Gründen.

Ich versuchte es über Kontakte, kannte zwei, drei Menschen bei Garmin. Aber dort war rein gar nichts zu holen. Meine Anfragen zu Testgeräten liefen ins Leere. Die Absagen waren nett formuliert, aber eben auch Absagen. Dann war da ja aber noch Wahoo. Von denen hatte ich mir mal einen Radcomputer gekauft. Den Bolt. Die Marke war cool, genauso wie Frank von der PR-Agentur. Wenig überraschend lautete aber auch hier die Antwort: „bemühe mich, sieht aber aktuell echt schlecht aus“. Egal wie oft ich nachhakte und lieb um ein Test-Exemplar von Wahoos Prunkstück, dem Kickr bat, war die Antwort stets freundlich und entschuldigend: „Sorry, hab aktuell einfach nix da.“

Ernüchterung.

Aber ich ließ nicht locker und nervte womöglich auch den guten Frank bis der nach dem x-ten Hin- und Herschreiben Ende 2020 plötzlich meldete: „Könnte klappen. Da ist gerade wieder ein Exemplar eingetroffen.“

Bäm. Große Freude. Ich hatte ein mir relativ unbekanntes Objekt ergattert und die Erwartungen an das Gerät, aber auch an mich, waren groß. So begann meine Erfahrung mit dem Wahoo Kickr, der den Ruf besaß, einer der besten, wenn nicht der beste Smarttrainer für Rennräder auf dem Markt zu sein.

Auf nach Wahootopia.

Die Box, in der das gute Stück geliefert wurde, war nicht gerade klein. Als ich den Kickr zum ersten mal an seinem Griff heraushob, staunte ich nicht schlecht über sein Gewicht. Ein massives, kühn gezeichnetes Produkt, das aus einem Schwungrad bestand, einem Zahnriemen, einer vorinstallierten Kassette und zwei Beinen aus Metall. Das ganze war in der Höhe justier- und in der Breite praktisch zusammenfaltbar, um Platz zu sparen. Ein sehr praktisches Feature, vor allem für kleinere Wohnungen wie unserer in Düsseldorfs City, wo das ganze sich bei Nichtgebrauch samt Rad schlank an die Wand schmiegte. Der Kickr an sich: ein mechanischer Hingucker. Solide gebaut und wertig in der Anmutung, zumal im Vergleich zu den plastiklastigen Trainern von Tacx & Co.

Das Tor in eine neue Fahraddimension, die mich in digitale Bergwelten, zu neuen FTPs und virtuellen Kudos führen würde, konnte endlich aufgestoßen werden. FT… was?

Kickr und Bike und die Suche nach dem geeigneten Platz. Neben dem Esstisch? OK.

Los ging es – nach dem Aufbau der Versuchsanordnung mit dem Gravelbike am eingeschalteten Kickr und dem iPad auf Lenkerhöhe – erstmal mit der Installation von Zwift, der alles überstrahlenden Software für virtuelles Radfahren in 2020. Das Pairing per Bluetooth zwischen iPad, Kickr und dem Wahoo-Brustgurt namens Tickr war unkompliziert und schnell abgeschlossen.

Ich schälte ich mich vor meinem ersten Training in meine Lycra Klamotten und die Klickpedalschuhe, aber statt der ganzen Radtour-Prozedur musste ich nun nur noch Platz nehmen, auf dem Bike, das das zu einer Art Möbelstück geworden war. In meiner Wohnung konne ich ohne Helm, ohne Brille, ohne die Stadt verlassen zu müssen, sportlich Rad fahren. Ein so bizarres wie erleichterndes Gefühl. 

Kann losgehen.

Die ersten Pedalumdrehungen, nachdem ich im Zwift-Universum noch recht ahnungslos herumgeirrt und zufällig in irgendeinem Trainingsmodus gelandet war, wirkten ungewohnt. Der Avatar vor mir, besagtes Männchen, befand sich auf seinem Rennrad in einer Hawaii-artigen Umgebung namens Watopia und fing ebenfalls an, in die Pedale zu treten. Treu und ergeben. Wir beide machten also die ersten Meter. Erstmal entspannt, Puls 100. Irre. Das Geräuschniveau war niedrig. Der Kickr arbeitete nahezu lautlos. Nur die Kette rasselte vor sich. Nix, worüber sich Nachbarn beschweren würden. Oder das Baby nebenan.

Ich war drin, in dem Setup, das ich beim ersten Aufeinandertreffen in Koblenz noch so ungläubig bestaunt hatte. Ich konnte rennradfahren in meinem eigenen vier Wänden. Konnte plötzlich von zu Hause aus Berge erklimmen und Täler durchqueren, durch einen Vulkan hindurchfahren (WTF, @Zwift)) oder die Champs-Élysées entlang heizen, je nachdem welche virtuelle Strecke im Angebot war. Das, was ich an der Kurbel drehte, befolgte treu und ergeben mein virtuelles Alter-Ego auf dem Bildschirm. Das war alles anderes als monoton, das war genial.

Natürlich fehlte vieles von dem, was das Fahrradfahren im Allgemein und das Rennradfahren im Besonderen draussen vor der Tür ausmacht. Der Fahrtwind, das Gefühl für Steigungen und Gefälle, der Rausch der Geschwindigkeit, Fahrbahnunebenheiten oder lustige Insekten, die sich durch die Helmöffnungen hindurch im Haupthaar verfingen. Hier hatte ich wie gesagt nichtmal einen Helm an. Es fehlten aber eben auch Ampeln, Autos, und Abgase, Verkehr, Schlaglöcher und Gestank, Regengüsse und unerbittliche UV-Strahlung und nicht zu vergessen: der obligatorische Platten 35km von zu Hause entfernt. Ich schaltete hoch und schaltete runter, der Puls stieg und senkte sich wieder, mir rann der Schweiss auf die olle Gymnastikmatte, die ich vorsichtshalber mal unter das Rad gelegt hatte. Ein provisorisch eingerichteter Dyson Ventilator verschaffte mir etwas Abkühlung und das beste war: keine drei Meter entfernt waren Mutter und Neugeborenes auf dem Sofa eingeschlafen und ließen sich von dem was ich da tat nicht im Geringsten stören. Wahnsinn. 

Look pro, go slow.

Ich war für 14,99 €/ Monat auf Zwift hängen geblieben und der Kickr machte alles mit. Natürlich stand 2020 auch die Wahoo eigene Software names Sufferfest auf dem Programm. Ich testete mich durch einige Anbieter durch und habe dabei ein paar interessante Einheiten absolviert. Aber ich musste mich entscheiden und blieb erstmal bei Zwift. Fühlte sich so an, als würde ich Linux auf einem Mac installieren, oder Android auf meinem iPhone, aber es funktionierte perfekt. Dem Kickr war es letztlich egal. Er stellte keine Fragen. Er lieferte einfach nur ab, Umdrehung um Umdrehung. 

Also 10 von 10 Punkten?

Von meiner Seite aus ja. Ich kenne allerdings auch überzeugte Rennradfahrer, die Smarttrainer meiden wie der Teufel das Weihwasser und nur the real deal akzeptieren. Ich für meinen Teil bin vollkommen dankbar für diese Erfindung, und war gerade zu Anfang voll drin im Kickr-Flow. Außerdem profitierte ich vom effektiven Training, das neben einem hohen Verlust an Kalorien auch eine erstaunliche Ansammlung von Zahlen und Fakten (Stichwort Wattmessung!) mit sich brachte, die ich in der realen Welt (auch aus Mangel an Equipment wie zum Beispiel einem Powermeter) nicht gesammelt hätte. On top gab es bei Zwift Berge und Täler, in und um Düsseldorf gab es die nicht. Und auch wenn das Bike sich nach wie vor nicht bewegte (für die Simulation von Steigungen kann man den Wahoo KickR Climb ans Vorderrad klemmen), merkte ich die Prozente in meinen Beinen, denn proportional zu den Rampen wurde auch der Widerstand im Kickr intensiver. Das Training wurde intensiver, je öfter und je länger ich auf dem Rad saß. Immer mehr blendete sich die Welt um mich herum aus. Es sei denn, das WLAN streikte für einen kurzen Moment und unterbrach die Verbindung. Das kam zwei-dreimal vor.

Ja, Atmung geht jetzt etwas schneller.

Ich probierte mich an Spezialeinheiten der Software, ermittelte beim Ramp-Test nicht nur, wie es sich anfühlte, wenn bei immer stärker werdenden Widerständen die Beine streikten, sondern im Endergebnis auch meinen FTP. Der Functional Threshold Power ist eine Art Orientierungswert für die eigene Leistungsfähigkeit, in Watt gemessen. Ich probierte andere virtuelle Welten aus und belegte bei Rennen mit anderen Zwiftern nach wenigen Metern bereits in aller Regel ernüchternde hintere Plätze. Egal. Dabei sein war alles. Und kompetitiv wie viele Rennradler wollte ich ja ohnehin nicht sein.

Trainingspläne nahm ich ambitioniert an, hielt sie aber selten durch. Ich bevorzugte es, Strecken solo und nach meinem eigenen Stundenplan abzufahren. Ob New York, London oder Watopia. Hauptsache, ich konnte ein Workout zwischen Kinder-ins-Bett-bringen und schlafen gehen quetschen. Einmal begann ich erst um 22 Uhr und hatte kurz nach Mitternacht ‚in Österreich’ gefahrene virtuelle 1000 Höhenmeter in den Beinen. Wahnsinn. 

Mix and match in Sachen Abwechslung

Später gönnte ich mir bei entspannten Fahrten auch mal den Blick auf Netflix Serien. Problemlos möglich. Ich hörte Podcasts und Musik, ohne das meine Kadenz oder die Pulsfrequenz darunter litten. Mein Avatar tat das was ich tat. Wir waren zwei Buddies auf einem scheinbar niemals endeten „Der Weg ist das Ziel“ Trip. Ich wandelte zwischen ‚ERG-Mode‘-Einheiten, in denen der Kickr den Widerstand analog zu Software vorgab und Fahrten, bei denen ich je nach Steigung und Gefälle selber schalten mussten. Das ganze wirkte irre real. Niemand musste mich wie die Trainer in den Videos der Firma Peloton mit „you can do it“ Sprüchen anfeuern. Die Motivation weiterzumachen ergab der Verlauf der Strecke und der Wille, sie zu abzusolvieren. Und natürlich versuchte die Software alles, um einen an der Stange zu halte, sei es mit virtuellen Stempeln, Medaillen oder leuchtenden Bögen, die einem auf der Strecke signalisierten, dass man beim Intervalltraining wieder etwas verschnaufen konnte. 

Einmal ins Wohnzimmer vor den großen Schirm gewechselt (Zwift auf Apple TV macht’s möglich).

Wollte ich ursprünglich einfach nur fit bleiben, habe ich bei alldem viel über‘s Rennradfahren gelernt. Das hat ich mich nicht zu einem besseren Menschen gemacht, auch nicht zwingend zu einem ambitioniertem Amateur, der nun auch Jedermannrennen angeht. Aber es hat geholfen, zu verstehen, warum Rennradfahren mehr ist als das Image, dass sich jahrelang in meinem Hirn festgesetzt hatte. 

Bei aller Euphorie gab’s natürlich auch Phasen, in denen es mal nicht so lief wie gewünscht, sei es eine Zwangspause wegen einer Erkältung oder weil ich nach ein paar Tagen nicht mehr „in the Zone“ war. Aber während der Waterrower immer noch ungenutzt hochkant in der Ecke steht, ist das Rad selbst im Sommer oft mit dem Kickr verbunden, denn eine Einheit zwischendurch ist immer drin.

Das Ensemble hat jetzt auch seinen eigenen Platz. Nach einem Umzug an den Stadtrand konnte ich mir in der neuen Bleibe einen Fitness-Keller einrichten. Neben dem Rad steht jetzt auch ne Hantelbank, daneben der Waterrower und ein Fernseher. Der Plan ist klar: ich richte mir einen Paincave ein, in dem Kickr und Rad um weitere Hardware, auch aus dem Wahoo Universum ergänzt wird. Denn von Zwift bin ich mittlerweile auf die Wahoo Alternative namens RGT gewechselt, die auch recht gut funktioniert. Das Bügelbrett, auf dem das iPad immer abgelegt war, wird bald ausgelagert und vom Kickr-Desk ersetzt. Dazu eine gescheite Matte, ein intelligenter Ventilator und vielleicht schafft es auch der Climb-Steigungssimulator ins Smarttrainer Universum. Und dann: Kette rechts.

Im Keller gelandet: Mehr Platz für’s Wahoo Universum.

Mal sehen, wie weit wir beide noch kommen. 

Fortsetzung folgt. 

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Disclaimer: der Wahoo Kickr wurde mir freundlicherweise für diesen Erfahrungsbericht zur Verfügung gestellt.


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