Von so lala bis La Marzocco: Kaffee!

Prolog.
Reden wir über meinen Weg zum Kaffee, müssen wir früh anfangen und in die Kindheit zurückgehen. Damals konnte ich mich für vieles begeistern, für Eisenautos und Nachmittage im Sandkasten, für Kakao und Erdbeermilch. Aber Kaffee? Nicht in tausend Jahren. Logisch, ich war schliesslich ein Kind. Doch auch perspektivisch betrachtet war mir schon früh klar, dass Kaffee niemals Bestandteil meines Lebens werden könnte. Kaffee war etwas für Erwachsene, die sich das morgens in den Hals schütteten, um den Tag zu überstehen. Allein schon wegen Kaffee lohnte es sich, nie erwachsen zu werden, sondern lieber Kind zu bleiben.

Kaffee war das heiße Pendant zu Bier. Er lag im der Ekelfaktor-Ranking auf Augenhöhe mit gekochter Rinderzunge und Rosenkohl. Schal gewordene, lauwarme Cola war ein Genuss dagegen. Kaffee dagegen signalisierte nach dem ersten dran nippen: Achtung hier läuft was ganz grundsätzlich falsch. Finger weg davon! Für immer.

Während ich also eine initiale Abneigung gegen Kaffee und Bier verspürte, genoss ich es, Erwachsenen Kaffee oder Bier zu servieren: das Öffnen einer Flasche Pils, das kunstvolle Einschenken ins Glas und die Gestaltung einer Schaumkrone, die ihrem Namen gerecht wurde, wollten gelernt sein. Und dann war da die Beschäftigung mir der Kaffeemaschine am frühen morgen. Kinder wollen ja immer alles selber machen. Warum nicht auch Kaffee? 

Die Maschine meiner Eltern, in den 80ern ein Alltagsgegenstand in vielen Haushalten, ist heute ein Klassiker: eine Braun Aromaster, what else.

Kann man heute noch kaufen: die Aromaster von Braun. © www.braunhousehold.com

Sie stand in der Küchenecke, in unschuldigem weiß mit schwarzen Akzenten. Alles aus Plastik, ausser der Kanne aus Glas. Auf jede Tasse Wasser kam ein gehäufter Kaffeelöffel aus der Packung, auf der bei meinen Eltern immer ‚Idee Kaffee‘ stand. Gemahlen in der Fabrik. Ein Schalter wurde umgelegt, charakteristische Brüh-Geräusche erfüllten den Raum. Das Wassers ergoss sich vom Tank über das kegelförmig aufgetürmte Kaffeemehl im Filterbehälter und tröpfelte langsam in die Kanne. Faszinierend. Wie aber aus dem an sich interessant riechenden Pulver in so kurzer Zeit eine so ungenießbare Plörre werden konnte, war mir absolut schleierhaft. 

„Trink nicht soviel von dem schwarzen Gift auf nüchternen Magen!“, ermahnte ich meine Mutter eines Morgens, um ihr Wohl besorgt und wohl unter dem Eindruck neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse aus dem Bio-Unterricht. Denke nicht, dass sie ihren Schlauberger-Sohn danach auf die berühmte „Magenfreundlichkeit“ des Idee Kaffees hingewiesen hatte. Eher, dass sie insgeheim dachte: eines Tages wirst auch Du in den magischen Bann von Kaffee hineingezogen.

In der Schule war das schonmal nicht der Fall. Die Typen, die mit einer Mischung aus Kaffee-, Kippen- und Kaugummi-Atem neben einem die Zeit bis zur nächsten Raucherpause absaßen machten jedenfalls keine Werbung für das Zeug. Die Lehrer, die Kaffee tranken, sowieso nicht. Überhaupt fehlten Hinweise darauf, dass es sich um ein Genussmittel handeln könnte. Das wurde alleine schon beim Blick auf die sonderbaren Behälter deutlich: Klobige Thermoskannen spritzten ihren dünnen Inhalt stoßweise über einen sperrigem Pump-Mechanismus in Becher aus dünnwandigem Plastik und Tassen aus vergilbter Keramik. Dem Kaffee wurde offenbar keine besondere Bedeutung zugewiesen, es mehrten sich die Hinweise, dass es sich um etwas Zwanghaftes handeln musste, um eine Art Medizin, um nicht Droge zu sagen. So wie Koffeintabletten, die einige Mitschüler bei Abiturprüfungen oder während langer Nächte auf Ibiza aufputschten. Nur in flüssiger Form.

Womit wird bei dem Grund angekommen sind, weswegen der Kaffee eines Tages dann doch in mein Leben getreten ist. Nein, nicht wegen Partynächten auf Ibiza. Wegen der Wachmacherfunktion. 

Koffein – die unbekannte Macht 
Viele Jahre meiner Existenz über war Müdigkeit oder das Bedürfnis, Müdigkeit zu bekämpfen, nie ein Problem gewesen. Ich war da mit mir und meinem Körper absolut im Reinen. Bis ich diesen Job nach dem Abitur aufnahm, der sehr frühes Aufstehen erforderte und meinen natürlichen Biorhythmus komplett aus dem Takt brachte: ich fing einen Nebenjob als Briefträger an. 

Nach den ersten paar Tagen, an denen das mit dem Augen-offen-halten beim Briefe sortieren und verteilen nicht so gut geklappt hatte, entschied ich mich zu einem folgenschweren Schritt, der mich viele Jahre später in das rabbit hole des Kaffee-Universums führen würde: Kaffee soll ja wachhalten. Also nahm ich mir eine Thermoskanne voll Kaffee mit auf’s Postamt.

Wobei: Mit Kaffee hatte das Ganze nur sehr entfernt etwas zu tun. So wie auf den Teenagerparties (lange vor den Alkopops) der Einstieg in den Konsum von Alkohol mit aromatisiertem Korn gelang, veredelten meinen halben Liter Kaffee die Zutaten Milch und Zucker. Jede Menge Zucker.

Damit hatte mein Kaffee (natürlich der magenschonende aus der Maschine meiner Eltern) viel gemeinsam mit den Industrie-Latte Macchiatos und Cappuccinos aus dem Kühlregal im Supermarkt, bei denen Kaffee nur kleingedruckt in der Zutatenliste vorkommt. Immerhin: meine Mische war zwar nur so lala, aber warm. Extrem süß und aufputschend. Es funktionierte also, wie Medizin. Schmeckte nur nicht so bitter.

Natürlich hatte sich mein Geschmackssinn weiterentwickelt. Ich war nun immerhin fast 20. Und so dauerte es nicht lange, bis schwarzer Kaffee akzeptabel wurde, und zwar an der Uni, wo Kaffeetrinken erste Studentenpflicht war. In nahezu jeder Pause zwischen den Vorlesungen hielt man in der einen Hand eine glühende Gauloise, und in der anderen einen Pott Mensakaffee.

Ein Gebräu, das aus einem großen metallischen Tank schwallartig in unkaputtbare Tassen schwappte, eine Mark kostete und erst auf den Magen schlug, dann ins Hirn ging. Voll auf die zwölf.

Der Uni-Kaffee hat es offenbar nicht mit auf’s Poster geschafft. © etsy.com

Jegliche geschmackliche Nuancen der Kaffeebohne mussten beim Brühen oder bereits beim Rösten abgetötet worden sein. Milch oder Zucker halfen da nicht weiter. Also trank man ihn schwarz.

Zur Abwechslung gab es bei den Kommilitonen zu Hause zu jeder Tages- und Nachtzeit Kaffee aus der Pressstempelkanne, der berühmten french press. Ein Kaffee, bei dem am Ende immer ein Schluck Kaffeeschleim mit in den Rachen schwappte. Ja, eklig, aber irgendwann lernte man drumherum zu trinken. An Koffein mangelte es uns jedenfalls nicht. 

Das Kaffeetrinken verschob sich in dieser Zeit auf eine untere Bewusstseinsebene, es wurde ein Automatismus, degradiert zu einem alltäglichen Vorgang. Gleichzeitig gewann das Ganze durch die soziale Komponente des gemeinschaftlichen Konsums an Bedeutung. Und so entspannte und intensivierte sich, mit jedem weiteren Schluck mein ursprünglich angespanntes Verhältnis zu Kaffee. Vielleicht war ich aber auch einfach erwachsen geworden.

Die Entdeckung der „Kaffeespezialitäten“
Neben den Kaffeeexzessen auf dem Campus und bei Freunden fing ich an, hin und wieder die Kaffeemaschine meiner Wohngemeinschaft zu nutzen. Als ich während der Auslandssemester in Lyon alleine ein Apartment bewohnte, legte ich mir – Ironie der Geschichte – meine eigene Braun Aromaster zu und gewöhnte mich immer mehr ans Kaffeetrinken zu Hause. Dort, mitten in Frankreich, lernte ich in den Bistros auch die verführerische Variante meiner Briefträger-Mische von damals kennen, die hieß hier nur Café au lait und schmeckte auch ohne Zuckerzugabe verführerisch gut. So wie diverse Galaos, portugiesische Milchkaffees, die ich in Lissabon für mich entdeckte. Damit gewann das Thema Genuss langsam aber sicher an Bedeutung.

Autogrill in Italien bietet Espresso, von dem Tank & Rast nur träumen kann. © Francesca Volpi / Bloomberg

Der absolute Aha-Moment fand wiederum in einem anderen europäischen Land statt. Natürlich in Italien. Ich war mit meiner Freundin Mitte der Nuller Jahre auf einer Cabriotour unterwegs in Richtung Gardasee. Wir hielten beim erstbesten Autogrill. Einer, wenn nicht der Raststättenkette jenseits des Brenners. Unbekümmert bestellte sie dort „due cafe“ am Tresen, reichte mir eine Tasse und schon nach einem Schluck war es geschehen. 

Was mir dort zwischen Zapfsäulen und Raststättentoiletten als (die Deutschen würden sagen) Espresso angeboten wurde, für einen schlanken Euro, öffnete mir die Augen. Es verzauberte meine Geschmacksknospen und verwandelte alle zur Verfügung stehenden Synapsen in ekstatische Zustände. 

OK, ich übertreibe, aber er war wirklich gut. Wie konnte so ein Klecks cremebelegte braune Masse in einer kleinen, warmen, dickwandigen Tasse so überzeugend brutale Einfachheit und sensible Komplexität miteinander vereinen?! Wie war es möglich, dass etwas, das wir diesseits der Alpen gierig und unüberlegt literweise in uns hineinschütteten, so komprimiert so delikat sein konnte? Und wieso war es nach ein- zwei Schlückchen schon wieder vorbei, mit dem Ritt durch diesen irren Kosmos?

Fragen, die ein Blick in die wundervolle Geschichte italienischer Kaffeekultur beantworten. 

Ich hatte davon keinen Schimmer, genoss dafür voller Bewunderung Cappuccino, Cornetto & Co mit Blick auf den Gardasee und wollte Tage später nur noch eines: Espresso nicht nur im Urlaub trinken, sondern auch zu Hause. Vielleicht mit, vielleicht ohne Milchschaum. Konnte doch nicht so schwer sein. Logisch, dass dafür nur eine Siebträgermaschine in Frage kam. 

BMW statt Gardasee. Cappuccino-Genuss im Café, Jahre später.

Espresso @ home: ja genau.

„A lot of people ask me whether they should buy an espresso machine […] My answer is always a question: do you want a new hobby?“ James Hoffmann

Retrospektiv kann ich über die anfänglichen Gehversuche im Barista Game nur schmunzeln. Bei meiner ersten Maschine schielte ich sehr auf den Preis. Ich wollte Qualität, aber wenig bezahlen, ein Anspruch, der riskant war, den ich aber offenbar mit  anderen Konsumenten teilte, denn die Auswahl solcher Maschinen war groß. 

Meine war günstig, klein und etwas einfallslos gestaltet, so ganz ohne Tassenablage. Dafür bestand sie zu 95% aus Kunststoff. Es prangte der wenig italienische Name „Krups“ drauf (den ich bald mit einem Sticker überklebte), und das was rauskam erinnerte eher an Batteriesäure als an italienischen Espresso. 

Meine Erinnerungen an den Apparat sind dementsprechend dürftig.

Ich weiss noch, wie ich als unbedarfter Amateur vorgemahlenen Supermarkt-Kaffee von Illy und Lavazza nutzte, ihn mithilfe eines beigelegten Plastik-Utensils namens Tamper pi mal Daumen in den runden Metallfilter drückte und zu allem Überfluss ungefiltertes Wasser drüberlaufen liess. Andere Parameter, die bei der Herstellung von Espresso essenzielle Bedeutung haben, wie Temperatur und Temperaturkonstanz, Mahlgrad, Bezugsdauer und Brühverhältnis sowie die Pflege der Maschine, um nur einige zu nennen, waren mir damals gänzlich unbekannt. 
So wie ich vorging, hätte ich auch Mehl, Mozzarella und Tomatensoße in den Ofen werfen können, in der Erwartung, Pizza zu bekommen. 

Zwei traurige Gestalten auf einem Bild.

All dies passierte im für extrem hartes Leitungswasser berühmt berüchtigten Kölner Raum, wodurch der Verkalkungsprozess im Innern der Maschine ab dem ersten Bezug mehr Druck machte als die Maschine bei der Espressozubereitung. Die Ergebnisse aus der Krups waren verheerend, weder lecker noch bekömmlich. Es kratzte erst auf der Zunge, dann in der Kehle und später im Magen. Die Zubereitung machte keinen Spass und generell hatte ich mir das alles anders vorgestellt. Kein Wunder, dass der Apparat nicht lange durchhielt. 

Anstatt mich selbst und meine Kompetenzen als User zu hinterfragen, gab ich natürlich sofort der Maschine die Schuld. Die Lösung meiner Misere konnte nur ein Hardware-Upgrade sein, hin zu einer Macchina!, einer mit italienischem Namen. Damit würde der Espresso von ganz alleine gelingen. 

Ich schenkte der Firma Gaggia mein Vertrauen, und bestellte eine „Baby Gaggia“, die mich allerdings nicht überzeugte, weil sie in natura aussah wie die große deprimierte Schwester der Krups. Ein schwarzer, völlig emotionsloser Kunststoffkasten. Ich sah mich nach einer Alternative um, und fand eine, die frei nach Gianna Nannini „bella e impossibile“ war. Ihr Name: Gaggia Cubika. Bellissima! Ich hatte mich sofort verguckt, in den eckigen Look, den Schriftzug, das Material und die Kompaktheit. Es passte einfach alles.

Was nicht passte, auch hier wieder, waren die Zubereitung (das ahnte ich damals nicht) und das Ergebnis (das bekam ich sofort zu spüren). Bei der Cubika machte ich die gleichen Fehler, wie bei der Krups. Meine Skills hatten sich keine Millimeter weiterentwickelt. Ich hatte keinen blassen Schimmer davon, was eine gute Extraktion ausmacht. Was war überhaupt eine Extraktion? Mit etwas Glück kam Kaffee raus, ja, aber mit Espresso, geschweige denn Espresso mit Crema hatte das alles nichts zu tun. Zumal sich die Cubika unter meiner Behandlung als kleine Diva entpuppte. Mal tröpfelte die braune Flüssigkeit nur langsam und widerwillig aus den beiden Löchern des Portafilters, mal schoss sie ungehindert in die Tasse. Regelmäßig brummte der eckige Alu-Kasten einfach nur vor sich hin, ohne auch nur einen Tropfen Kaffee auszugeben. Dann erbrach sich beim Entnehmen des Handhebels das nasse Kaffeemehl aufgrund des Überdrucks über die gesamte Arbeitsfläche. Die Maschine zeigte mir offenbar, was sie von mir hielt. Ich war bedient, gab irgendwann genervt auf und verkaufte die Gaggia.

Die Cubika. Hier ein Foto, das später jemanden bei eBay Kleinanzeigen zum Kauf animierte.

Vom Siebträger zum Herdkocher zur Kaffeemühle
Plan B wurde aktiviert und bestimmte danach jahrelang meinen Kaffeekonsum: die Herdkanne zog in meine Küche und damit in mein Leben ein. Ich hatte mir das bei meinem Bruder abgeguckt. Es fühlte sich cool an, denn das Gerät war ein Klassiker mit langer Tradition. Bialetti sei dank konnte ich anfangs mit dem Moka Pot aus Aluminium, dann mit der Kanne aus Edelstahl ordentlichen Kaffee produzieren. Oder was auch immer das war, das da aus dem Metallröhrchen blubberte. Mit Espresso hatte es nichts zu tun und geschmacklich haute mich das Ergebnis auch nicht vom Hocker, aber die Zubereitung und Handhabung war um Längen unkomplizierter als bei einer Espressomaschine. Der Kaffee war schnell und frustfrei zubereitet, schwarz und stark, konnte verlängert getrunken oder mit Milch versehen werden. Außerdem hatte ich noch Geld übrig und steckte endlich ein paar Euro in eine elektrische Kaffeemühle, eine von Bodum, weil irgendjemand meinte, dass das einfach besser sei. Setup komplett. Ende aus. Basta. Das war’s.

Nicht ganz. Denn dann ging’s erst richtig los. Mit einem Schritt nach hinten und zwei Schritten nach vorne.

Der Schritt nach hinten: Die Nespresso Sünde. 
Der Siegeszug des Kapselsystems von Nespresso ging auch an mir nicht vorbei. Es kam der Tag, an dem man zum ersten Mal damit in Berührung kam und anerkannte, dass Kapselkaffee geschmacklich keine Offenbarung darstellte aber auch nicht das Ende der Welt bedeutete. Ich sah mich erst lange im Feld der Nespresso-Gegner, bis ich meinen Widerstand eines Tages aufgab und Opfer einer Cashback-Aktion wurde. Ich schleppte also eine dieser Nespresso-Maschinen nach Hause, die dort erst regelmäßig und dann immer seltener zum Einsatz kam. Ich habe auch heute noch ein (schlankeres) Modell hier stehen, für den Fall der Fälle. Selbst anerkannte Röstbetriebe stellen ja mittlerweile Kapseln her, elaborierte Maschinen versprechen noch bessere Ergebnisse und Nespresso sucht seine Gewinnmargen mittlerweile in einem neuen patentierten System. Es geht um Geld und Convenience, nicht um Nachhaltigkeit und geschmackliche Nuancen. Denn wahre Qualität bekommt man woanders. Nicht in der Nespresso-Boutique, sondern in der Rösterei des Vertrauens.

Rösterei 4 – Filterkaffee fatto a mano, Moccamaster und La Marzocco

Barista Arthur im & mein Sohn vor’m Laden
Kaffee Kunst. © roesterei-vier.de

Warum ich meine Kaffee-Geschichte heute überhaupt aufschreibe, habe ich einem Laden namens Rösterei 4 zu verdanken, ihren Produkten, dem Personal und ihrer Hardware. Kein Laden hat mich in Sachen Kaffee so sehr inspiriert und mir gezeigt, was man aus so einer Bohne alles rausholen kann. Dieser unscheinbar wirkende Ort in einer Seitengasse der Düsseldorfer Altstadt lag keine 400 Meter von meiner damaligen Wohnung entfernt. Es trieb mich immer öfter dorthin und mir war schnell klar warum. Das Café – wenn man es so nennen konnte, denn in meinen Augen war es deutlich mehr als das – lud nicht nur zum Kaffeetrinken ein sondern auch zum Arbeiten, Abhängen und Leute treffen. Die Menschen hinter’m Tresen hießen Arthur, Chris und Sarah und hatten neben der Arbeit immer Zeit für launigen Smalltalk. Gute Musik pumpte prägnant aber unaufdringlich im Hintergrund und der Kaffee war eine Sensation. Ein Laden mit Substanz und Charakter, der zu meinem zweiten Wohn- und Arbeitszimmer wurde.
Los ging meine Abhängigkeit mit Cortado und Café Latte, die beide geschmacklich durch die Decke gingen. Irgendwann weihte man mich in die Vielfalt von Filterkaffee ein, der in Glaskaraffen ausgeschenkt optisch wie geschmacklich teeartige Züge annahm. Spannend! Natürlich musste ich das sofort zu Hause ausprobieren und legte mir ein komplettes Handfilter-Kit zu. War damals hip, kam aber gut.

Kreisen lassen: Filterkaffee zu Hause.
Schön und gut: Filterkaffee in der Rösterei

Ich war begeistert, zu sehen, was man aus Filterkaffee rausholen konnte, dass ich meinen mittlerweile auf Nespresso umgestiegenen Eltern einen Kaffeekurs bei einem anderen lokalen Anbieter, Kaffee Schvarz, schenkte. Ergebnis: sie gaben dem Filterkaffe wieder eine Chance, mit dem Unterschied dass sie den nun nicht mit der Aro- sondern der Moccamaster zubereiteten, der Kult-Filtermaschine made in the Netherlands.

Ich tat es ihnen gleich, kaufte eine silberne Moccamaster und lenkte meinen Fokus für Kaffee daheim komplett auf Filterkaffee. Die Bohnenvarianten aus der Rösterei, geschmacklich von schokoladig bis fruchtig variierend, sorgten frischgemahlen für Kaffeegenuss der nie langweilig wurde.

La Marzocco und die Königsdisziplin. 
Vor Ort im Laden ließ ich bei meinen Bestellungen auf Espresso-Basis immer mehr Milch weg. Insbesondere nach kurzen Nächten. Ich war mittlerweile als Familienvater unterwegs und landete Kinderwagen schaukelnd mal beim doppelten Espresso macchiato und bald bei dem Espresso, der an mein Autogrill Erlebnis in Italien erinnerte. Ich nahm dabei immer mehr Notiz davon, wie Chris, Sarah und Arthur zu Werke gingen, wie sie zum Takt der Musik wippend ein Getränk nach dem anderen kredenzten. Spätestens jetzt war auch ihr Arbeitsmittel, der dampfende, silberne Kasten in der Mitte des Tresens, den ich vorher einfach als gesetzt betrachtet hatte, nicht mehr zu übersehen.

La macchina: Die La Marzocco Linea PB.

Endkunden können mit Gastro-Maschinen ja in der Regel nicht viel anfangen – für den Privatgebrauch sind sie so überproportioniert wie unerschwinglich. Interessant war diese hier trotzdem, denn sie hatte Charakter. Auf den ersten Blick erschien sie wie ein cooler, eckiger Klotz aus poliertem Edelstahl, nüchtern, geradezu chirurgisch gestaltet. Das hatte mich an der Cubika schon fasziniert. Es spiegelte sich fast der ganze Raum in den blanken Flächen, das Ganze wirkte wie aus dem Vollen gefräst. Dieses selbstbewußte Understatement ließ sie präsenter erscheinen, als die verschnörkelten Apparate in anderen Kaffeebuden. 

Außen dominierten klare Kanten, während die runden, rot leuchtenden Tasten im Bedienfeld Wärme ins Spiel brachten. Ein Design wie von Pininfarina oder Bertone, mit dem Unterschied, dass das hier kein Ferrari war, sondern eine – pardon – Kaffeemaschine.

Espresso wie er sein soll.
Bedienpanel von nem Designer mit Stil.

Die zischenden Wasserdampfwolken, die beim Milchaufschäumen entstanden, ließen nur erahnen, was für ein Kraftwerk im Innern steckte. Irgendwann merkte ich mir das, was so prägnant in roten Lettern auf silbernem Grund an der Rückseite der Maschine stand: La Marzocco. Erstens: Aha. Zweitens: Bäm. Der Schriftzug hätte so auch auf einem klassischen italienischen Sportwagen der 70er Jahre prangen können. La Marzocco Linea Piero Bambi GT. Oder so ähnlich.

Ehe ich mich daran zum Barista ausbilden lassen konnte, kam es, wie es kommen musste: die Familie wurde noch größer und ich zog in einen anderen Stadtteil, weit weg von meinem Lieblingscafé. Im neuen Umfeld gab es nichts Vergleichbares wie die Rösterei 4. Das war nicht nur für mich eine schlechte Nachricht, sondern auch für die Kinder, die jetzt nicht mehr regelmäßig an das leckere Bananenbrot und die fluffigen Babyccinos kamen. 

Nicht, dass nun bei mir plötzlich Kaffeemangel geherrscht hätte. Bohnen für die Moccamaster konnte ich ja problemlos mit nach Hause nehmen und für etwas Abwechslung wechselte ich hin und wieder zu Handfilter oder Herdkanne. Was mir fehlte war neben der Stimmung und den Menschen in der Rösterei etwas, das ich zu Hause mit meinen Mitteln nicht reproduzieren konnte, die Königsdisziplin: guter Espresso. Denn was ich nicht mit nach Hause nehmen konnte, war der große Edelstahlkasten der Rösterei, mit dem roten La Marzocco Schriftzug. Unmöglich.

Das rabbit hole.
Und überhaupt: was die Zubereitung von Espresso zu Hause anging, hatte ich mein Waterloo bekanntlich schon gleich zweimal hintereinander erlebt. Wozu das Kriegsbeil erneut ausgraben?

Andererseits hatte sich die Erde auch ein paar Mal um die Sonne gedreht und mir waren meine damaligen Unzulänglichkeiten immer deutlicher geworden. Das lag letztlich auch am Internet. Hier lernte ich viel, ließ mich förmlich dazu drängen, dem Espresso zu Hause nochmal eine Chance zu geben, weil ich mich online immer mehr in die Thematik hineinsteigerte. Los ging es mit der Entdeckung einer Maschine, die Jan Frodeno mal in einem Video bediente. Die Recherche ergab, dass es sich um eine Slayer, handeln musste, bei der man per Holz-Paddle den Bezug auslöste. Preis: über 10.000 €. Ich nahm schnell wieder Abstand von der Idee. Die Suche aber ging weiter und die nächste Maschine, die sich einprägte hieß Rocket Appartamento. Ihre Argumente hießen lässiger Look und vertretbares Preisschild. So kam der Stein ins Rollen. Durch Google-Suchen stieß ich auf weitere Maschinen und so auch auf Experten wie James Hoffmann oder Lance Hedrick und die Kaffeemacher. Ich hörte Podcasts und las mich durch dutzende von Foreneinträgen, um die Frage zu beantworten: soll ich mir das, knapp zwanzig Jahre später, wirklich nochmal antun? 

Jan Frodeno, Espresso-Fan, mit eigener Design-Linie heute im Team La Marzocco. © La Marzocco

Bevor die Frage beantwortet wurde, versank ich wieder im rabbit hole. Die niemals endende Fülle an Espresso-Clips auf Instagram war erschlagend. Man veranstaltete ein Riesen-Buhei rund um die eigenen Espressokünste. Zwischen übertrieben minutiösen Puck-Preps und lässig aus dem Ärmel geschüttelten Latte Art Kreationen war alles dabei. Die Auswahl an Maschinen schien endlos: Ja, es gab La Marzoccos für zu Hause, aber das waren immer noch ausladende Geräte für Küchen mit viel Platz. Neben der voluminösen GS3 (siehe Foto oben) war da die kleinere Schwester der Maschine aus der Rösterei namens Linea Mini. Die war a) nicht wirklich Mini und b) unter 5.000 € kaum zu haben. Schick waren sie ja, aber wohin damit?

Andere Firmen hatten auch sehr schöne Töchter: Rocket, ECM, Lelit, Profitec, Rancilio, selbst Sage und natürlich Gaggia bildeten dabei aber nur die mittlere Speerspitze einer Industrie, die ein Fass ohne Boden darstellte. Denn zu den Maschinen gesellten sich die nicht unwichtige Wahl der Mühle und all die Accessoires, die Hobby-EspressozubereiterInnen dazu animierte, zu echten EnthusiastInnen zu werden.

Mein Barista des Vertrauens, Arthur, der coolste Siebträgerhantierer auf Erden, hatte dazu nur eine Meinung: Das Beste oder nix. Er konnte es sich leisten so zu reden, mit seiner mattschwarzen La Marzocco Linea Mini surfte er zu Hause als Spezialist natürlich ganz oben auf der Cremawelle. 

Während ich Arthur blind glauben wollte, gesellten sich zu meinen Überlegungen noch weitere Fragen. Die nach den Aufheizzeiten und damit zu Stromverbrauch und Nachhaltigkeit. Ewig lange zu warten bis eine E61-Brühgruppe auf Temperatur war, das schien mir nicht sehr modern. Also doch lieber eine Handhebelmaschine? Musste es ein Dual Boiler sein? Reichte ein Ein- oder Zweikreiser? Mit Metall- oder Kunststoffgehäuse? Erstmal Einsteigermaschine oder direkt ordentliches Material für viel Geld? 

Es entstand ein absolutes Tohuwabohu in meinen Kopf, zumal, das darf man nicht vergessen, ich der einzige Kaffeetrinker in unserem Haushalt bin. Diese Investition sollte wohl überlegt sein, denn es war mein absolutes Privatvergnügen – andererseits aber auch ein Grund, zukünftig noch mehr Gäste einzuladen. 

Heureka! Linea Micra.
Die Sachlage blieb unübersichtlich und ich wollte das Thema schon an den Nagel hängen, bis Ende 2022 eine Nachricht in meinem Feed auftauchte, die mich aufhorchen ließ. Mit einem Schlag war sie da, die Möglichkeit, mir ein Stück Rösterei „nach Hause zu holen“. 

La Marzocco hatte das Siebträgermaschinenverkleinern aufs nächste Level gehoben und eine neue Dual Boiler Maschine vorgestellt. Es handelte sich um eine weitere Miniaturvariante des großen Dampfrosses aus der Wallstrasse, eine, die in jede Küche passen sollte. Ihr Name: Linea Micra.

Man muss sie einfach gern haben, egal in welcher Farbe. Linea Micra in weiss. © La Marzocco

Kein schlechtes Timing.
Sie trat unverkennbar als Linea-Modell auf, wurde entweder farbig lackiert oder pur wie in der Rösterei angeboten: mit rotem Schriftzug auf poliertem Edelstahl. Sie kam mit Paddle statt einem an/aus Knopf für den Bezug und die Features klangen vielversprechend: extrem kurze Aufheizzeit dank einer neuen Brühgruppengetaltung und intelligentem Portafilterdesign. Das alles solide verarbeitet und bei guter Pflege unkaputtbar. Man solle sich auf Temperaturstabilität freuen dürfen genauso wie auf stabile Dampfpower. Eine Maschine auf Profiniveau, nur eben haushaltskompatibel. Ob sie dabei auch haushaltskassenkompatibel ist, steht auf einem anderen Blatt.

Ganz sicher würde ich damit besseren Espresso zubereiten, als zu Zeiten meines Krups & Gaggia Desasters. Aber ob ich mit einer Micra einen ebenso delikaten Espresso zaubern könnte, wie meine Freunde in der Rösterei, bleibt erstmal offen. Denn noch habe ich sie nicht und neben dem Material entscheidet letztlich der Mensch hinter der Maschine, ob exzellenter Espresso aus dem bodenlosen Siebträger läuft oder nicht.

So oder so bin ich ganz aufgeregt über dieses Release. Wie das Kind, das Anfang der 80er erstmals seine eigene Erdbeermilch anrühren durfte – nur dass sich die Geschmäcker seitdem etwas verschoben. 

Was vier Jahrzehnte so alles anstellen können.

Sehen wir hier bald mehr Café Content? To be continued.


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