Werksabholung.
Ein Wort, oft gelesen, immer ignoriert.
Werksabholung. Einer dieser Posten in den Online-Konfiguratoren der Automobilhersteller, die ich stets ignoriere. Dachhimmel anthrazit? Klicke ich immer an. Schönere Felgen? Auch. Soundystem? Na klar. Aber Werksabholung? Da geht der Konfigurator doch in die Realität über und nimmt an, dass ich den Wagen auch tatsächlich übernehme?!
Das traf aber in 100% der Konfigurationen der Vergangenheit nicht zu. Am Konfigurator vertreibt man sich die Zeit oder phantasiert sich sein Traumauto zusammen. Oder beides. Aber wer schließt am Ende der Konfiguration schon einen Kauf- oder Leasingvertrag ab?
Bei mir war es jetzt endlich mal der Fall. Bei meinem SUV-Experiment GLC habe ich Werksabholung angeklickt. Also, nicht ich habe das getan, sondern mein Verkäufer, der Herr Neumann aus Köln, hat Werksabholung für mich angeklickt. Und es ist ja so praktisch. Erstens spart man sich ein paar Euro Überführungskosten, um zweitens dafür – in diesem Fall – nach Bremen zu fahren und on top noch eine Werkstour mitzuerleben (siehe Teil 2).
Nach der Führung war es dann soweit: ich wurde in den hinteren Teil des Empfangsgebäudes geführt. Dort trennt eine Glaswand die Besucher von der Fläche, auf die Werksmitarbeiter in unregelmäßigen Abständen neue Autos des Daimler-Konzerns fahren. Akkurat, mit der Schnauze nach vorne wurden die frisch produzierten, wie aus dem Ei gepellten Preziosen platziert. Vor dieser Glaswand laden Sitzgarnituren zum Verweilen ein. Zeitschriften liegen aus. Eine Dame an der Bar spendiert Kaffee und kalte Getränke. Wer mag, versüßt sich die Wartezeit mit einem Stück Kuchen aufs Haus. Eine heiße Suppe ist auch im Angebot.
Alles ganz adrett und gesittet.
Ich schaue mir alles an. Höre hin.
Es ertönt eine Stimme aus der Sprechanlage. Sie kündigt an, dass das Auto für Herrn oder Frau XY nun bereit stehe. Ich schaue mich um. Die Stimme gehört einem Herrn, der hinter einer Art DJ-Pult steht. Nur spielt er nicht die neusten Hits von David Guetta oder Rihanna. Er ist der Maître de Werksabholung. Er überblickt nicht nur den Raum der wartenden Neuwagenabholer, sondern auch einen Haufen Dokumente. Ich gehe zu ihm und reiche ihm den Papierkram. Er blickt auf und säuselt professionell wie ein Gastgeber ersten Ranges: „Herr Jancke, schön, dass Sie da sind.“
Es wirkt so, als meine er das ernst.
„Nehmen Sie doch bitte noch etwas Platz und gönnen Sie sich etwas zu essen und zu trinken. Ihr Wagen wird in wenigen Minuten vorgefahren.“
Ich gönne mir also eine Suppe, bestelle einen Kaffee. Nehme Platz. Ich verkürze mir die Wartezeit, in dem ich versuche zu erraten, welcher der Anwesenden wohl welches Fahrzeug erhalten wird. Manchmal liege ich daneben. Manchmal nicht.
Dabei merke ich: ich bin nicht der Einzige, der einen GLC abholt. Kein Wunder, das Teil verkauft sich ja wie geschnitten Brot. Also sind noch andere Kunden mit Kompakt-SUV Wunsch anwesend, Damen und Herren mit silbernem Haar, aber auch jemand in meinem Alter. Einer hat sich direkt den GLC 43 gegönnt. Ich halte kurz inne und frage mich, ob der nicht auch noch drin gewesen wäre. Das ältere Ehepaar macht dem Ruf der Rentnerautos alle Ehren. Es hatte sich für einen erdfarbenen GLC entschieden, in der absoluten Bockwurstversion. Heisst: Aufpreis bezahlt für die bräsig braune Farbe aber dann keinen Cent Stil mehr in das Auto gesteckt. Ich frage mich, ob ich in dem Alter auch mal so sein werde. Aber noch ist es nicht soweit. Noch warte ich auf ein sportliches SUV mit kraftvoll-dezentem Antrieb.
Ich schaue auf. Hinter die Glaswand. Da! Das muss er sein! Denke ich. Aber es fährt nur ein fast identischer GLC ein, mit einem anderen Kennzeichen auf die Abholerfläche. Ich beruhige mich wieder. Irgendwie finde ich Gefallen an dieser Konstellation. Es liegt eine knisternde Spannung in der Luft. Aber es gibt auch weniger glamouröse Fahrzeuge auf der Fläche. Da hat sich jemand für den gerade platzierten Smart Fortwo entschieden. Wird zwar nicht in Bremen gebaut, aber abholen kann man ihn hier offenbar schon. Dann sind da noch die asiatisch wirkenden Herrn, die hinter der Glasfassade gerade um ein weisses C 63 Coupé herumtänzeln wie frisch getaufte Katholiken um das Taufbecken. Ich kann sie verstehen. Wie sie aufgeregt mit den lieben Verwandten telefonieren und haufenweise Fotos schießen, als müssten sie ihn gleich wieder abgeben. Der Autokauf als religiöser Akt. Ich schreib da mal ein Buch drüber.
Dann sehe ich ihn zum ersten Mal. Meinen Wagen.
Das Auto, das ich mir zusammenkonfiguriert hatte. Das Auto, das ich jetzt, zum ersten Mal in meinem Leben, in einem Werk abholen sollte. Wäre ich gerade zur Toilette gegangen (Suppe, Kaffee, Aufregung…), dann hätte ich diesen Moment aller Momente an diesem Tag verpasst. Erst blitzt ein Düsseldorfer Kennzeichen durch die Toreinfahrt. Dann schiebt sich eine schwarze Masse nach, aus der meine Augen und mein Hirn innerhalb von Millisekunden einen schwarzen Mercedes-Benz GLC 250d mit Chromleisten und AMG-Paket machen.
Eine Dame sitzt am Steuer. Sie manövriert das Fahrzeug in die hinterste Ecke.
Bitte wohin? Die hinterste Ecke?!
Na schönen Dank auch! So lange gewartet und dann reicht es nur für die billigen Plätze.
Egal.
Jetzt weiß ich, dass ich bald durch die Glastür und zu „meinem“ GLC darf. Ich warte geduldig, bis mein Name aufgerufen wird. Dann passiert es.
„Der Wagen für Herrn Jancke steht bereit.“ Nein, es ist kein Engelschor der das verkündet. Es ist der DJ an der Interkom. Niemand dreht sich um. Kein Blumenstrauß. OK, hab ich auch nicht erwartet. Stattdessen nimmt mich ein freundlicher, anzugtragender Herr in Empfang. Er führt mich zu meinem Fahrzeug. Jeder Schritt vollzieht sich jetzt in Zeitlupe, es geht erst durch die Glastür, dann auf die Präsentationsfläche. Vorbei an einem weißen Fahrzeug. Wir lassen einen anderen GLC links liegen. Im Hintergrund feiern die Asiaten immer noch ihre AMG Party. Alles noch in Zeitlupe. Dann schiele ich hin, zu dem schwarzen Softroader, der stolz mein Kennzeichen trägt, der da so formvollendet konfiguriert die hintere Ecke mit seinem noch jungfräulichen obsidianschwarzen Lack und den frisch polierten Chromleisten erhellt.
Das ist er also. Meine neuer Neuer.
Es fühlt sich an wie ein echtes Date, keine Zusammenführung von Tinder oder Elitepartner, sondern wie eine Ehe, die feinsäuberlich arrangiert wurde. Auch wenn es nur eine Ehe auf Zeit ist, weiß ich, wen ich erwarte, zumindest glaube ich das. Der GLC aber weiß nicht, wer ihn in die weite Welt entführen will. Es scheint ihn auch nicht zu beeindrucken. Andreas Jancke? OK, dann halt der.
Es fühlt sich gut an, erstmal über den Lack der Motorhaube zu streicheln, statt direkt ein Bild von mir und dem Auto machen zu müssen, um es auf Instagram hochzuladen. Bezahlte Partnerschaft mit Mercedes-Benz? Nix da. Das ist meiner. OK, geleast. Aber nicht geschenkt. Ich hab ihn bezahlt dafür, dass er in den kommenden zwölf Monaten mein Wegbereiter und Wegbegleiter wird.
Der Herr Werksabholer-Erklärbär im Anzug (ich meine das mit allem Respekt) dreht mit mir eine Runde um das Auto. Setzt sich mit mir rein. Er erzählt mir was von „toller Entscheidung“, „schlau konfiguriert“, „kaum was ausgelassen“, „wow das edle Soundsystem ist auch mit drin“, „das sind wirklich stattliche Felgen“ „ich erkläre Ihnen mal das Navi“, „speichern sie keinesfalls Ihre Heimatadresse unter zu-Hause!“ und „hier ist die Automatik für die Lichteinstellung“. Vielmehr lerne ich nicht.
Zwei Dinge fallen mir auf. Dass der Navibildschirm des günstigen Infotainmentpakets eher mickrig ist. Und dass die Trittbretter zwar sehr markant sind und den maskulinen Auftritt des Wagens verstärken, dass man beim Aussteigen aber auch einen ordentlichen Spagat machen muss, um nicht mit den Waden an den Brettern hängen zu bleiben, schmutzige Hosenbeine irgendwann inklusive.
So what. Ich hab mir ja keinen G geleast. Sondern drei Nummern kleiner. Ich danke dem Anzugträger, erhalte die beiden Schlüssel und platziere den Wagen für ein paar Schnappschüsse doch noch ins Zentrum der Werksabholerhalle. Dann drücke ich den Startknopf, um die ersten echten Kilometer auf die Uhr des neuen GLC zu spulen. Noch ein Foto vor dem Werksausfahr-Schild, dann geht es zur Tanke und anschließend vollgetankt ab auf die Autobahn. Auf Wiedersehen Bremen! Das war sie also, meine erste Werksabholung. Hätte nicht gedacht, dass es soviel Freude bereitet, ausgerechnet diesen Posten anzuklicken.